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News of Radermacher & Partner

Experten zur Nachhaltigkeit klassischer Automobile

Ehemaliger Automobilrennfahrer Jochen Maas diskutiert mit Automobilexperten Dr.-Ing. Hans-Josef Mayer über Nachhaltigkeit von Oldtimern.

Juror, Automobil-Historiker und Mercedes-Benz Classic Experte Siegfried Linke aus Pebble Beach verständigt sich mit Dr. Mayer über den Grad der Authentizität, Originalität und historischen Korrektheit der Exponate im Seegarten des Hotels Überfahrt in Rottach-Egern am Tegernsee (Bild unten).

Der Concour d´Élégance Tegernsee (concours-tegernsee.de) ist ein Wettbewerb bezüglich der Eleganz sowie besonderer Merkmale wie Design, Originalität und Herkunft von historischen und neoklassischen Automobilen, die um die Gunst von unabhängigen Preisrichtern wetteifern. Die hochkarätig besetzte Jury unter Vorsitz von Prof. Dr. Peter Pfeiffer, dem ehemaligen Mercedes-Benz-Designchef, besteht aus international erfahrenen, renommierten Automobilhistorikern und ausgewiesenen Fahrzeugexperten.

In diesem Jahr gesellte sich sogar der Automobil-HistorikerSiegfried Linke in den erlesenen Kreis der Begutachter, welcher seit über 40 Jahren als einer von fünf Juroren in Pebble Beach amtiert, einem der weltweit bekanntesten Schönheitswettbewerbe für hochwertige klassische Automobile und Zweiräder. Dieser Concours findet seit 1950 alljährlich im Rahmen der Monterey Car Week auf dem Gelände des Pebble-Beach-Golfplatzes bei Monterey in Kalifornien statt.

Begleitet wurde die Jury hier am Tegernsee auch während der gesamten Veranstaltungsdauer von einem internationalen FIVA-Steward, der die Anwendung des Reglements des internationalen Weltverbands der Oldtimer-Clubs überwachte. Die FIVA arbeitet zusammen mit der UNESCO, um die Bedeutung des automobilen Kulturgutes international zu stärken.

Die Teilnehmerzahl am Concours Tegernsee war auch in diesem Jahr auf insgesamt 50 Fahrzeuge aller Marken, Typen und Altersklassen limitiert.

Der Automobilexperte und CEO der Radermacher & Partner GmbH, Herr Dr.-Ing. Hans-Josef Mayer diskutierte hier im Bild während des diesjährigen Concours Tegernsee mit dem Markenbotschafter der Retro-Classics Jochen Maas, einem ehemaligen deutschen Automobilrennfahrer (Tourenwagen, Formel 1, Berg- und Langstreckenrennen in den 70er/ 80er Jahren) über Nachhaltigkeit klassischer Automobile. Schwerpunkt der Diskussion bezog sich auf einen gemeinsam hochgeschätzten Fahrzeugtyp der FIVA-Klassen E (Post War 01.01.1946 bis 31.12.1960) und F (Fahrzeug hier im Bild: 01. Januar 1961 bis 31.12.1970), dem Mercedes-Benz Tourensportwagen 190 SL (W 121 II, Herstellungszeitraum von Mai 1955 bis Februar 1963),  mit dem Jochen Maas bereits mehrfach die Mille Miglia bestritt, einem historischen Autorennen über öffentliche Straßen Norditaliens.

Mit 25.881 gebauten Einheiten war der 190 SL ein wahres Erfolgsmodell für Mercedes-Benz während der Wirtschaftswunderzeit. Die Fahrzeuge mit Stern überzeugten seinerzeit neben den markentypischen Attributen wie Qualität, Komfort, Langlebigkeit und Sportlichkeit vor allem mit repräsentativer Eleganz. Die Entwickler in den Mercedes-Benz Designstudios hatten die Zeit des Umbruchs offenbar erkannt und eine neue Epoche in Form und Design eingeläutet. Das Automobil entwickelte sich vom zweckmäßig gestalteten Fortbewegungsmittel im barocken Stil zum emotionalisierenden Designerstück. Gerade der 190 SL war die in Blech geformte Aufbruchstimmung,versprühte ebenso Zeitgeist wie Hoffnung auf eine vielversprechende Zukunft, ohne dabei in irgendeiner Hinsicht zu über­bor­den. Und damit kommt er als Oldtimer der sich gerade entwickelnden neuen Stoßrichtung der Automobiltechnik, "Reduktion auf das Wesentliche", bemerkenswert nahe.

Jochen Maas und Hans Mayer waren sich im Seegarten des Hotels Überfahrt in Rottach-Egern am Tegernsee im Laufe des Concours rasch einig, klassische Automobile sind äußerst nachhaltig und erfüllen auch heutige Sustainability Standards mit Bravour. Dr. Mayer muss es wissen, denn seine Unternehmensgruppe erhält seit Jahren für ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten begehrte Auszeichnungen durch EcoVadis, dem weltweit größten Anbieter von Nachhaltigkeitbewertungen (https://bit.ly/3XNGvMN).

Vor allem ist es nachhaltiger, Wertgegenstände möglichst lange zu nutzen, sie zu pflegen und instand zu halten, anstatt sie nach kurzer Nutzungsdauer arglos wegzuwerfen bzw. zu verschrotten.

Die durchschnittliche Lebensdauer von Autos in Deutschland beträgt derzeit zwölf Jahre, gefahren werden Fahrzeuge allerdings durchschnittlich nur knapp 10 Jahre. Damit toppt der abgebildete 61 Jahre alte 190 SL diese Werte bereits heute um Faktor 5 bzw. 6. Da für den Herstellungsprozess eines Automobils die meiste Energie aufgewendet werden muss, trägt jedes Fahrzeug zunächst einmal einen großen CO2-Rucksack, der bei einem Oldtimer mit den Jahren immer leichter wird. Der Volkswagen-Konzern hat jüngst eine eigene Studie zum Vergleich von Verbrennern und Elektrofahrzeugen vorgestellt. Laut dieser „Life Cycle-Assessment“-Studie von VW ergibt sich für den aktuellen VW Golf TDI (Diesel) über den gesamten Lebenszyklus eine Emission von 140 g CO2/ km, während der e-Golf einen Wert von 119 g CO2/ km erreicht (15% Reduktion). Ab einer Laufleistungvon 125.000 Kilometer überholt demnach der rein elektrisch angetriebene e-Golf einen aktuellen Golf TDI in der CO2-Bilanz. Dann dürfte der e-Golf zwischenzeitlich allerdings auch schon am Ende seiner Nutzungsdauer angelangt sein (siehe oben), denn die jährliche Fahrleistung deutscher PKW-Nutzer liegt gemäß einer aktuellen Studie des Vergleichsportals "Check24" im Durchschnitt bei 11.230 Kilometern (Bezugsjahr 2021).

Leichtbau realisierten die Ingenieure auch vor 60 Jahren bereits neben ihren genialen konstruktiven Auslegungen vor allem durch Verwendung spezifischer Leichtbaumaterialien. So wurden beim Mercedes-Benz Roadster beispielsweise Motorhaube, Kofferraumdeckel und Türen der Karosserie aus Aluminium gefertigt. Die geringe Dichte von Aluminium im Vergleich zum Stahl (ca. ein Drittel) bei gleichzeitig vertretbaren Kosten ließ das Erdmetall über die Jahre zum zweitmeistverwendeten Karosseriewerkstoff werden. Beim Streben nach geringem Leistungsgewicht haben die Ingenieure in der Wirtschaftswunderzeit echte Pionierarbeit geleistet.

Fahrzeuge wogen vor 60 Jahren überwiegend rund 1.000 kg, einige sogar deutlich darunter, andere ca. 1.200/ 1.300 kg, nur Ausnahmen lagen darüber.  Bei dieser Masse starten heutige Kleinwagen, Mittelklassefahrzeuge erreichen derzeit mühelos zwei Tonnen Leergewicht und wiegen damit das Doppelte ihrer Vorfahren. Das liegt hauptsächlich am Verlangen des Nutzers nach diversen Annehmlichkeiten, was wiederum zum Aufwuchs von Nebenaggregaten führte. Jeder Kleinwagen hat unzählige Stellmotoren beispielsweise zur Sitzverstellung und Schiebe- bzw. Cabriodachbewegung. Dazu kommen elektrische Fensterheber und natürlich eine Klimaanlage, ohne Air conditioningund Sitzkühlung ist ein Sommerausflug heute kaum vorstellbar.

Wir haben uns im Automobilbau gewichts- und strömungstechnisch über die Jahrzehnte in die falsche Richtung bewegt, auch wenn geniale Ingenieure immer wieder einmal zwischenzeitlich versucht haben, uns vor Augen zu führen, dass sich einige unserer Visionen vom niedrigen Fahrzeugverbrauch durch konsequente Anwendung der Physik erfüllen ließen. Unter Federführung von Ferdinand Piëch entstand beispielsweise Anfang der 2000-der Jahre das erste 1-Liter-Auto. Es sah aus wie ein cW-Wert-optimierter Messerschmitt Kabinenroller. Sein Strömungswiderstandskoeffizient lag bei 0,159, die ideale Tropfenform hätte sogar nur einen cW-Wert von 0,055 gehabt. Das Fahrzeug der Volkswagenstudie wog gerade einmal 390 Kilogramm und verbrauchte nur 0,89 Liter Diesel. Piëch hatte maßgeblich an zwei Schrauben drehen lassen, Masse und Luftwiderstand. Beide Themen sind heute für Elektrofahrzeuge im höchsten Maße reichweitenrelevant. 

Mit steigender Masse steigt grundsätzlich auch der Kraftstoffverbrauch, insbesondere bei Geschwindigkeiten inner- und außerorts. Bei typischen Autobahngeschwindigkeiten hingegen nimmt der Luftwiderstand mehr Einfluss auf den Kraftstoffverbrauch als das Fahrzeugewicht. Allerdings werden Personenkraftwagen zu 26 % im Ortsverkehr, 41 % bei Überlandfahrten und nur 33 % auf Autobahnen betrieben (Statistika zur Verteilung der Fahrleistung von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr in Deutschland nach Ortslage). Die Belastung unserer Infrastruktur ist ebenfalls abhängig von der Fahrzeugmasse. Es macht einen großen Unterschied, ob ein Fahrzeug mit 1 Tonne Eigengewicht oder mit 2 Tonnen beispielsweise eine Brücke überquert.

Oftmals waren früher auch die Motorisierungen, wie hier beim 190er, vermeintlich weniger performant als heute ausgelegt. Das Modell begnügt sich mit einem Vierzylinder mit 1.900 ccm Hubraum und einer Leistung von 105 PS. Diese Werte waren vor 60 Jahren bereits überdurchschnittlich. Immerhin konnte der Roadster mit dieser Motorisierung nach Herstellerangaben 180 km/h schnell bewegt werden, was seinerzeit und auch heute noch eine hinreichend hohe Geschwindigkeit für ein offenes Fahrzeug darstellt. Entscheidend ist zudem das Leistungsgewicht, es definiert das Verhältnis zwischen der Masse eines Fahrzeugs und seiner Motorleistung. Der Energieverbrauch ist umso geringer, je niedriger das Leistungsgewicht ist. Muss die Geschwindigkeit einer großen Masse durch Bremsen verringert werden, wandelt sich viel kinetische Energie in ungewollte Wärme um. Außerdem lassen sich Fahrzeuge mit einem geringen Leistungsgewicht dynamischer bewegen.

Auch die Fahrzeugmaße waren bescheidener dimensioniert. Benötigte der erste Mercedes-Benz SL-Roadster vor 60 Jahren noch eine Fläche von 7,5 Quadratmeter, hat der aktuelle Mercedes-AMG SL Roadster in der achten Generation einen Platzbedarf von 9 Quadratmetern. Noch höher entwickelten sich die Zuwächse bei den VW Golf Modellreihen. Das aktuelle Modell 8 benötigt 25% mehr Platz als der Golf 1 Anfang der 80er Jahre. Das bedeutet, wo früher fünf VW Golf Platz fanden, stehen heute höchstens noch vier aktuelle Golfs.

Die verwendeten Materialien waren früher sortenrein und beim Auseinanderbau mühelos trennbar. Diesen hohen Wert der Rezyklierbarkeit musste die Automobilindustrie erst wieder erkennen. Hauptwerkstoffe waren früher Stahl, Messing, Aluminium, Holz, Glas, Leder, Vlies und Gummi. Schleichend hielt Bakelit als erster Kunststoff aus Phenolen und Formaldehyd Einzug in die Fahrzeuge. Mit der weiteren Entwicklung der Konsumgesellschaft kamen in den 70er-Jahren diverse Einweg-Kunststoffmaterialien hinzu, die uns bis heute die meisten Probleme bereiten.

Ebenfalls beeindruckend ist die ökonomische Denkweise der Ingenieure aus den 50/ 60er Jahren. Sie verwendeten bereits Gleichteile über mehrere Modellreihen hinweg (Bodengruppe, Motoren- und Getriebeteile, Bedienelemente, Leuchten, Rücklichter etc.). Heute bezeichnen die Konstrukteure solche Teile als Carry Over Parts (COP).

Wer sich selbst einmal intensiver mit einem automobilen Kulturgut beschäftigt hat, der wird unseren Vorfahren gegenüber immer respektvoller. Die seinerzeitigen Ingenieure haben bereits nachhaltiger konstruiert, als die späteren Konsumentengenerationen es wertschätzen und übernehmen wollten.

  • Es beginnt mit der Kunst des Weglassens, ohne auf Fahrvergnügen zu verzichten. Ein Cabriodach könnte auch heute noch mühelos von Hand zusammengelegt werden. Bereits 1934 präsentiert Peugeot das erste Cabrio der Welt mit elektrisch versenkbarem Metallklappdach, den Peugeot 401 Eclipse. 20-30 Jahre später wurde das Verdeck allerdings immer noch überwiegend von Hand zusammengelegt, wie z.B. beim 190 SL. Der geringe Kundennutzen eines elektrischen Daches sprach offenbar nicht für den Mehraufwand. Heute werden Cabrios hingegen ausnahmslos elektrisch geöffnet, bei voller Fahrt sogar auf der Autobahn bis zu 60 km/h, weil Kunden es so wünschen. Dafür benötigen die Verdeckkonstruktionen verstärkte und damit schwerere Gestänge und zusätzlich viele Stellmotoren und Stabilisatoren.
  • Ressourcen wurden früher wie selbstverständlich im Kreislauf gehalten, so wurden seinerzeit ausschließlich sortenfreie Mono-Materialien verwendet, die auch wieder aufbereitet werden konnten bzw. wiederverwertet werden konnten.
  • Einfache Demontage erfolgte durch lösbare Verbindungen. Ein Oldtimer kann vollständig in seine Einzelteile zerlegt werden, überwiegend durch einfache und zugängliche Schraubverbindungen.
  • Komponenten und Aggregate wurden damals zwar auch getauscht, entnommene Teile wurden allerdings wieder aufbereitet und nicht entsorgt, wie heute. Jemanden zu finden, der z.B. den Anker eines Anlassers neu wickeln kann, dürfte heute schwierig werden. Früher war dies ein üblicher Prozess und konnte nahezu in jeder Werkstatt erledigt werden. "Refurbishment" ist die moderne Bezeichnung für eine solche qualitätsgesicherte Überholung und Instandsetzung von Produkten zum Zweck der Wiederverwendung und -vermarktung. Den passenden Begriff haben wir heute schnell parat, die ausführenden und entsprechend qualifizierten Menschen nicht mehr.
  • In einer Disziplin hat die Fahrzeugindustrie über die Jahre zweifellos Know-how zugelegt, dem Korrosionsschutz. Seinerzeit rosteten die Karosserien der Fahrzeuge bereits in jungen Jahren durch technologisch wenig ausgereiften Lackaufbau und fehlendeSchutzmaßnahmen sowie feuchte Stellplätze.

Nachhaltig wird ein Oldtimer allerdings erst bei regelmäßiger Nutzung. "Trailer Queens" hingegen, die nicht aus eigener Kraft zu Oldtimer-Ausstellungen fahren, sondern z.B. in einem geschlossenen Anhänger, können streng genommen keinem Nachhaltigkeitsvergleich standhalten. Die Fahrzeughalter achten auf geringe Laufleistung und vermeiden nach der Sanierungsphase die mögliche Entstehung jeglicher Gebrauchsspuren. Ursprünglich war bei vielen Concours d´Élégance Wettbewerben das Anreisen auf Achse geboten und Fahrzeuge, die auf Anhängern kamen, wurden mit Strafpunkten belegt. Diese Praxis wurde zwischnzeitlich weitgehend abgeschafft. Bei heutigen Schönheitswettbewerben werden nur noch wenige Gewinnerfahrzeuge zur Ausstellung gefahren. Die Show-Champions, die auf Anhängern zum Wettbewerb gebracht werden, sind allerdings meist auch in absolut tadellosem Zustand. Viele sind sogar in einem besseren Zustand als an dem Tag, an dem sie ursprünglich die Fabrik verlassen haben. Bei Classic Data, dem gemäß eigener Angaben Marktführer für Bewertungen von Oldtimern,erwartet die Benotung "1" einen makelloser Zustand, keine Mängel, keinerlei Beschädigungen oder Gebrauchsspuren an Technik und Optik, ein komplett und perfekt restauriertes Spitzenfahrzeug.

Abschließen möchten wir die kurze Reportage vom diesjährigen Concours d'Élégance Tegernsee 2022 mit einem Zitat von August Bebel (ehem. Politiker und Publizist):

„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten“.

Bild oben vlnr: Dr. Hans-Josef Mayer, Irmgard Mayer, Jochen Maas
Bild unten vlnr: Siegfried Linke, Dr. Hans-Josef Mayer

Dr. Nina Ruppert

Senior Consultant, CSR-Manager


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