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Neuigkeiten von Radermacher & Partner

Friesenbrücke – Ikone infrastrukturellen Ingenieurbaus

Die Friesenbrücke im ostfriesischen Weener wird Symbol, Verbindung und ein Meisterstück der Ingenieurskunst.

Ein technisches Wunderwerk ihrer Zeit

Die ursprüngliche Friesenbrücke war eine 335 Meter lange genietete Stahlfachwerk-Konstruktion mit zentraler Klappöffnung. Als größte Klappbrücke Europas ihrer Zeit verband sie nicht nur die Ufer der Ems, sondern auch Menschen und Kulturen in der Region. Sie war ein Paradebeispiel für die Ingenieurkunst des 20. Jahrhunderts und spielte eine zentrale Rolle für die Bahnstrecke zwischen Groningen und Leer.

Die Katastrophe von 2015

Am 03. Dezember 2015 prallte ein Frachtschiff gegen die Brücke und zerstörte sie irreparabel. Das bedeutet im Sektor Rail -anders als bei einem historischen Automobil- immer das „Aus“ des technischen Bauwerks, weil für historische Infrastrukturanlagen üblicherweise ein Umbauverbot gilt. Bei Stellwerken ist das beispielsweise bereits der Fall, wenn lediglich die Verkabelung versprödet ist. Sie könnte zwar, -darf aber nicht getauscht werden, sonst ist die Zulassung unwiederbringbar verloren. Dieser Unfall hinterließ durch den Totalschaden der Brücke nicht nur ein infrastrukturelles Vakuum, sondern beeinträchtigte auch die wichtige Verbindung zwischen Deutschland und den Niederlanden. Die Region Ostfriesland verlor eine ihrer wichtigsten Verkehrsachsen und die Anbindung an die historisch bedeutende „Wunderline“.

Erneuerung der Friesenbrücke

Nach intensiver Planung begann 2021 der Bau der neuen Friesenbrücke, die bis 2025 fertiggestellt werden soll. Der Neubau kombiniert modernste Technik mit traditionellen Gestaltungselementen und setzt neue Maßstäbe in Nachhaltigkeit und Funktionalität.

  • Technik und Nachhaltigkeit: Der 1:1 Nachbau der alten Konstruktion wäre unter heutigen Anforderungen und Auflagen nicht möglich gewesen. Die neue Brücke wird stattdessen mit moderner digitaler Steuerung auf Basis „Optical fiber technology“ ausgestattet. Im Drehpfeiler der Größenordnung eines mehrstöckigen Wohnhauses steht eine Maschine mit sechs Hubzylindern, die in der Lage ist, das Gewicht von rund 1.800 Tonnen des beweglichen Teils der Bücke nach oben zu drücken. Anschließend werden acht Hydromotoren das 145 Meter lange bewegliche Mittelteil der Brücke in wenigen Minuten um 90 Grad schwenken. Damit wird eine sehr große Öffnung die Fahrt für riesige Schiffe freigegeben, denn in unmittelbarer Nähe befindet sich die Meyer Werft, ein bedeutendes Schiffbauunternehmen in Papenburg, welches eng mit der Friesenbrücke verbunden ist, da diese Brücke eine wichtige Rolle bei der Überführung der in der Werft gebauten Kreuzfahrtschiffe zur Nordsee spielt. Die gesamte Baumaßnahme steht unter ständiger Aufsicht der Naturschutz-Behörden, denn die Baustelle liegt in einem Habitat nach § 30 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG).
  • Nutzung alter Funktionsprinzipien: Das Funktionsprinzip des sogenannten Schienenauszugs an den Schnittstellen zum Festland wurde von den Vorfahren der Eisenbahningenieure übernommen, weil es einfach genial war. Ein Schienenauszug ist ein technisches System, das es ermöglicht, die Gleisabschnitte auf der Brücke mit den festen Schienen der angrenzenden Strecken zu verbinden oder zu trennen. Die Schienen auf der beweglichen Brücke sind an einem Mechanismus befestigt, der sie in Längsrichtung verschieben kann. Wenn die Brücke geöffnet wird, werden die Schienen zurückgezogen, um Bewegungsfreiheit für die Brückenteile zu schaffen. Beim Schließen der Brücke fahren die Schienen wieder aus und werden millimetergenau an die Schienen der angrenzenden Strecke angepasst. Dies gewährleistet eine sichere und unterbrechungsfreie Durchfahrt für Züge.
  • Bewahren historischer Gebäudesubstanz: Zudem wird das denkmalgeschützte Brückenwärterhaus erhalten und modernisiert, wobei nur die historische Klinkerfassade und das Erscheinungsbild bewahrt bleiben. Das historische Gebäude erhält eine Aufstockung und wird technisch modernisiert, um die Steuerung der neuen Brücke zu ermöglichen. Durch die Integration dieser traditionellen Elemente in die moderne Konstruktion wird die historische Bedeutung der Friesenbrücke gewürdigt und gleichzeitig den aktuellen technischen und verkehrlichen Anforderungen entsprochen. Ich persönlich mag diese Alt-/ Neu-Kombination sehr.
  • Erstmalige Integration von Fuß- und Radwegen: Erstmals wird die Friesenbrücke einen 2,5 Meter breiten Fuß- und Radweg beinhalten. Diese Neuerung fördert nachhaltige Mobilität und macht die Brücke auch für nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer zu einem zentralen Bindeglied.
  • Finanzierung und Kosten: Die Gesamtkosten für den Neubau der Friesenbrücke werden zwischenzeitlich auf mehr als 200 Millionen Euro geschätzt. Ursprünglich waren 125 Millionen Euro veranschlagt, doch aufgrund gestiegener Material- und Personalkosten sowie allgemeiner Preisentwicklungen wurde die Schätzung 2022 auf über 200 Millionen Euro erhöht. Das Land Niedersachsen beteiligt sich mit 12,6 Millionen Euro an den Kosten, wobei 6,1 Millionen Euro für den Rad- und Gehweg vorgesehen sind. Die restlichen Kosten werden überwiegend durch Bundesmittel gedeckt. Im November 2022 genehmigte der Haushaltsausschuss des Bundes die Übernahme von Mehrkosten in Höhe von 57 Millionen Euro. Ausgelegt ist das gesamte Bauwerk auf 100 Jahre. Robuste Materialien gewährleisten eine lange Lebensdauer bei hoffentlich minimalem Wartungsaufwand.

Symbol des Fortschritts im Sektor Mobilität

Mit einer Gesamtlänge von 485 Metern und der 145 Meter langen und damit größten Klappöffnung Europas setzt die neue Friesenbrücke Maßstäbe im europäischen Ingenieurbau, wie ihre Vorgängerin. Sie verbindet Effizienz und Ästhetik und bleibt ein Leuchtturmprojekt moderner Infrastrukturentwicklung, bravo an dieser Stelle an alle Mitwirkenden. Die neue Friesenbrücke steht nicht nur für technische Innovation, sondern auch für kulturelle und geographische Verbindungen. Sie knüpft an die historische Bedeutung ihrer Vorgängerin an und wird ein stolzes Wahrzeichen für Ostfriesland und Menschen der Region bleiben – ein Symbol der Anpassungsfähigkeit und der Zusammenarbeit über Grenzen hinweg.